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SaunApp

Einmal mehr. Zwei Neue in unserer Sauna und schauen sich verschüchtert um. Fallen auf, weil sie auf keinen Fall auffallen wollen. Sicher vom Verein der anonymen Saunopathen. Keine Saunacrème, kein SmartHut und schon gar kein SaunApp-Gürtel mit Schulterhalfter. Ein fragender Blick zur Deckenantenne im Ruhebereich stösst mein Mitgefühl endgültig an: “Guten Tag. Wenn Sie sich fragen, weshalb es in einer Sauna WLAN braucht, dann sind Sie bei mir goldrichtig. Mein Name ist Fatzke und ich bin heute Ihr Sauna-Instruktor.”

In die Sauna kann nicht jeder Idiot. Aber natürlich machen wir heute eine Ausnahme. Früher war ich mal Bankdirektor. Dann bildete ich mich weiter und habe seit einem Jahr den Master of Aufguss.

“Immer mehr Gäste verlangten mit zittrigen Fingern auch hier nach einer Verbindung zum realen Leben. Um sie nicht als grünblaue Entzugsleiche2.0 entsorgen zu müssen, griffen wir vor und bieten jetzt auch gleich unsere SaunApp an.” – “Aha”, sagen sie und zeigen mir, dass sie von Sauna soviel Ahnung haben wie ein Streifenhörnchen von Louis Vuitton, und umgekehrt. Aber die Vorlesung über Geduld kommt schon im ersten Semester der SaunAcademy.

“Die SaunApp ist Dreh- und Angelpunkt des Saunasports. Alle haben ihr Smartphone neben sich, wo die persönliche 4K-Sanduhr läuft. Die sympathische Navi-Stimme sorgt auch dafür, dass die bisher peinliche Stille in der Sauna der Vergangenheit angehört.”

Die beiden haben ja sowas von keine Ahnung. “Sie können nochmals in die Garderobe gehen, um Ihr Smartphone zu holen. Dann laden Sie die App herunter, richten ein Konto ein und kommen wieder her. Sie sehen überall die QR-Codes dazu.”

qrcode_saunapp

“In der Zwischenzeit bereite ich schon mal Ihre SaunApp-Gürtel vor.” Und noch bevor sie einen Gameover-Tilt haben, fahre ich fort: ”Der ist für Smartphone, Saunacrème, Stirnschweisstüchlein, Wettkampfabzeichen, diverse Verbindungskabel usw.”

Auf jeder Sitzetage hat es nämlich Steckdosen für Ladegeräte und Halterungen für Selfie-Stangen. Ein Fitnesstracker ist zuständig für die Livedatenübertragung an die SaunApp. Diese teilt Ihnen zeitnah via Ohrwurm mit, wie Ihr internationales Ranking ist. Plus Trend, denn SaunApp lädt Ihre Daten sofort hoch auf Schweissbook, wo Sie in der SaunArena gegen andere um die Wette safteln. Dieses Feature können Sie natürlich deaktivieren – nach jedem Update von Neuem. Die Analysedaten gehen auch selbständig an OpenDoc oder – falls Sie eine Frau sind – an OpenGynec.Wo wir früher noch auf Frottiertücher zurückgreifen mussten, sitzen wir heute auf TranspirationWearables und schwitzen unseren Hintern direkt in die Cloud. Ob wir auch Video unterstützen? Naja, Live Streaming ist in Europa noch nicht zugelassen – ebenso wenig wie Telefonieren am Steuer. Aber wir stehen selbstverständlich schon längst an der Seitenlinie. Ein Knopfdruck – und wir sind dabei. Aber ich versichere Ihnen, Sie kommen sich schon heute nackt vor, wenn Sie in der Finnensauna keine Okulus-Rift auf haben.

“Und wenn wir das nicht wollen?” Aah, unsere Kücken haben ihre Stimme wieder gefunden. “Wo ist das Problem?” – “Privatsphäre…” – “Kommen Sie mir nicht mit Privatsphäre. Da schüttelt sich mein Kopf schon ganz von alleine. Denn überlegen Sie mal, wie es früher war: Nacktzone – freie Sicht ins Rastatal. Heute achtet niemand mehr auf Sie. Alles, was zählt, sind Daten. Ihre Daten. Wir sind nicht zum Vergnügen hier.”

Sie gehen in Richtung Garderobe und ich sehe, wie sie beim Rausgehen einander anschauen und mit den Zeigefingern ihr Gehirn massieren. Die werden nicht wieder kommen. Diese Dinos kenne ich: Denken noch selber, sterben aus.

Bushaltestelle

Drei fünfzig für vier Haltestellen! Drei-Fünf-Zero. Die nehmen es auch von den Untoten. Und der Bus soll erst in sechs Minuten kommen. Da friere ich mir noch einen Ast ins Knie. Ich könnte ja zu Fuss gehen. Aber ein bisschen Würde sollte man sich auch an einem Montagmorgen bewahren. Klinisch bin ich sowieso schon wieder im Wochenende. Dazwischen liegt aber noch ein echtes Problem. Sie nennen es Schule. ‘Non scholae sed vitae…’, sagen sie. Dass ich nicht absacke! Wenn dem so wäre, dann hätte ich schon vor Jahren angefangen zu leben, q.e.d – quod erat expectandum.

Die Haltestelle kenne ich mittlerweile bis runter auf Rastergrösse Kaugummileiche. Jeden Morgen trampeln die selben Roboter auf ihnen herum. Man könnte ihnen gleich die Hand schütteln: ‘Herr Harzenmoser, Frau Zumstein, guten Tag, freut mich…’ und weitere Lügen, ohne welche die anderen einen zu schneiden beginnen würden.

Aber heute ist da noch ein Neuer. Der wird auch gebührend geröntgt. Er scheint gar nicht so neu auf der Welt zu sein: Er röntgt schamlos zurück. Sein Blick bleibt an meinem T-Shirt hängen: “FAQ DA CLOUD”. In seinen Augen glänzt ein root-Konsolen-Cursor. Der glaubt an Nullen und Einsen – an Einsen aus Hoffnung und an Nullen aus Erfahrung. Kenn’ich, kenn’ich. Die haben auf der Uni ihren Vorlesungsplan noch nach Interessen zusammengestellt. Lochkartengeneration und stolz darauf. Von denen habe ich auch zwei zu Hause. Mitte vierzig. Mumie. Ich könnte ihn nach der Zeit fragen. Der fällt durch. Der glaubt glatt, ich hätte kein Smartphone. Sein Verstand würde auf allen acht Kernen in einen Bluescreen rasen. Da ginge gar nichts mehr. Niente, nada, nastrowje.

Auch ich werde später meinen Vorlesungsplan nach meinen Interessen zusammenstellen: Kreditpunkte. Ich habe einen vollständigen Satz von Hauruck-Gurus ihres Faches an der Hand, die mich fürs Studium schlau machen und – last but first – mir gute Noten verabreichen und dann den Zettel sichern. So schaut’s aus. Cosinus ergo sum.

Inzwischen ist sein Scan bei meinen Designer-Jeans angekommen. Der urteilt nur nach dem Äusseren. Sowas von oberflächlich! Aber das sieht man dem auch schon von Weitem an: Der ist von innen heraus oberflächlich. Dass Kleider schon beim Kauf voller Löcher und Risse sein könnten, ist ein gänzlich neuartiges Konzept. Auch mein Grossvater würde sich in der Urne umdrehen. Schon klar, Kleider decken zu. Aber das war zu Zeiten als man Kleider noch trug, um nicht zu frieren. Das weiss allerdings nur, wer dem historischen Museum einmal einen seiner wertvollen Freizeitslots opferte. Aber wer wirklich cool sein will, darf einfach einige Dinge nicht wissen. Was willst Du von einer Generation erwarten, deren grösster Ausbruchsversuch ein Tattoo im Ausschnitt ist. Oder eine Kreuzfahrt in der Ägäis. Oder – Chef bewahre – beides. Wie gesagt, von denen habe ich auch zwei zu Hause. Peinlich.

Endlich kommt der Bus. Zu viel Cosinus schlägt aufs Gemüt. Mein forschender Blick ins Innere des Busses entgeht der Mumie nicht. Er drückt mir drei fünfzig in die Hand. Ich komme fast nicht aus der Schockstarre mit eingebautem Fragezeichen heraus. ‘Drei–fünf–Zero’, sagt er und zwinkert mit einem Konsolen-Cursor. Der Typ ist sowas von abgefahren. Psycho. Cool – schade, dass der schon bald meinen Grossvater besucht. Ich gehe zum Automaten und tue so, als ob ich die Münzen reinschmisse. Der braucht ja nicht zu wissen, dass ich ein Monatsabo habe…;-)