Selbst ein Maulwurf mit Augenklappen hätte gesehen, dass die beiden hier total fehl am Platz waren. In den Ruhewagen kommt man nicht zu zweit.
„Oh, die haben einen Ruhewagen.“ – „Ja, das ist toll. Dann muss man nicht so laut reden. Oft nehme ich ihn auch, wenn ich einfach nur ein wenig schlafen möchte. Es sei denn, da sind irgendwelche Idioten und plaudern munter drauf los.“ – „Ich kann im Zug nicht schlafen. Untergrund, Du weisst schon…“ – „Ooh, jah, das kenne ich. Ich habe mich auch schon beschwert. Die sollten diese Wagen mal ausmessen. Richtig seriös. Mit einer Wünschelrute.“
Ausgerechnet neben mir. Ich beobachte, wie meine Faust Mass an ihrer Kinnlade nimmt, um den globalen Frieden wieder herzustellen.
Als wir noch unten in der Bucht wohnten, kam uns auch mal einer mit seiner Wünschelrute ins Haus. Siri, unsere Jüngste, offiziell schon längst Erwachsene, litt grossmassstäblich an Schlafmangel. Sie hat diese Wünschelgurke im Chat empfohlen bekommen. Mit einem Doktortitel. Wahrscheinlich von der Universität ein paar hundert Meilen östlich von Albert Schweitzers Klinik. Sie hat eben eine ziemliche Schraube locker. Aber natürlich denkt sie genau das gleiche von uns. Sie heisst auch nicht Siri. Wir nennen sie nur so, weil sie schon beim Frühstück ihr Babyphone voll labert und GAFAs Datenbanken füttert. Auch woher der Schlafmangel kommt, sieht der Maulwurf von oben sofort. Selbst mit Tomaten auf den Augenklappen. Aber den fragt ja keiner. Wenn die etwas sagt, dann weiss es zwei Sekunden später die NSA – und zwei Sekunden vorher Google. Ihre Therapeutin nennt es e-kommunikative Hochveranlagung. Meine Rede: Schraube locker. Beide. Der Typ stapfte die Wohnung kreuz und quer ab. Wenn er einen Tropfen gefunden hätte, wäre es viel gewesen. Und das in einem Hausboot.
„Nein, ich bekomme immer Kopfschmerzen, wenn ich beim Zugfahren einschlafe und in meinem Unterbewusstsein holpert und rattert es so.“
Tachyonenstein an die Birne, und zweihundert Mäuse später sind deine Kopfschmerzen Geschichte, Lady. Kenne ich von einem autodidaktischen nicht ganz geputzten Überlichtfritzen.
„Du solltest es mal mit Tachyonen versuchen…“
Unglaublich! Woher ich das alles nur weiss?
„…mein Meister hält Dir eine Dreiviertelstunde lang einen Stein an die Schläfen, und dann sind Deine Kopfschmerzen keine mehr.“ – „Tachyonen?“ – „Ja, sozusagen ein Lottogewinn der Quantenphysik.“ – „Ah, ‘Quantenphysik’. Das wollte ich schon lange mal lesen. Wer hat das schon wieder geschrieben?“ – „Die Plejadier.“ – „Ah.“ – „Wir würden sowas nie hinkriegen. Nicht einmal Einstein, Schrödingers Katze oder Cicciolina haben sie verstanden.“ – „Cicciolina?“ – „Italienische Starpolitikerin mit IQ 75D.“
Gefangen im Ruhewagen. Im unendlich tiefen Potentialtopf. Zusammen mit einer zerebralen Kernschmelze.
„Und worum geht es in ‘Quantenphysik’?“
Mann, jetzt bin ich aber mal gespannt. Die Friedensfaust entsichert.
„Von aussen gesehen sieht es etwas mathematisch aus. Mit all den Zahlen und Nummern und so, Du weisst schon. Aber das ist eben die Sprache der Plejadier. Schlüsselt man sie auf, so bleiben nur ein paar vollkommen verständliche Aussagen. Krabbelgruppen-Stoff bei denen.“
Zum Beispiel?
„Zum Beispiel?“ – „Zum Beispiel, dass alles mit einander verbunden ist. Nichts ist alleine. Du, ich, die Natur, mein Meister, Dein Geld…“
Das ist mir zuviel. Verschränkt. Ich und dieser Charmequark. Ich packe mich am Schopf und schleife mich in den nächsten Wagen. Dort ist zwar nur zweite Klasse, aber wenigstens habe ich jetzt Ruhe vor dem Ruhewagen.
„Hallööchen. Ichbingeradeimzugwobistduu?“…
Gebe mir mal einer die Wünschelrute rüber – oder die Stalinorgel.