Es war ein Tag ab der Stange in einer Touristenkonserve an der spanischen Riviera. Sonne, Sand, Pool direkt am Meer und vor allem ein endloses Morgenbuffet. Der volle Katalog eben.
Schon bei der Ankunft fühlte ich mich wie zu Hause. So gesehen hätte ich gar nicht erst herkommen müssen. Der grosse Empfangsbereich mit Springbrunnenlandschaft und grosszügiger Bar war angenehm runtergekühlt. Sofort bekam ich ein enges elektronisches Armband, das mich in diesem Hochkonsumpark als kreditwürdiges Mitglied mit Ablaufdatum ausweisen würde – und zwar auch im Bett und unter der Dusche. Das Management legt grossen Wert auf einfache Abläufe und verschwindende Umweltbelastung. Neben der Anzeigetafel der Tagesanimationen stand auch laut und deutlich: „Wahrer Luxus ist nachhaltig!“ Aber sicher – und Franco war Gründungspräsident von Terre des Hommes. Direkt gegenüber zeigte eine grosse, zum Meer hin offene Seite der Klimaanlage mit dem Mittelfinger wo es jeweils zum wirklichen Leben ging: Heute zum Beispiel zur wöchentlichen Wahl von Miss Beach und Mister Belly.
Während hinter den Kulissen die Mittagsreste der Nachhaltigkeit überlassen wurden, herrschte vor dem Bühnenbild emsiges Naschen an der langen Dessertbar: Elefantentreff. Ich stellte mich in die Schlange zu den zwei Schorsch-Kluni-Maschinen. Gleich hinter mir eine laute, von langen Jahren gehärtete Kleingruppe von Mister Belly Kandidaten und ihr Alpha-Teuton. Vor mir zwei teilhochbegabte Freundinnen nach ihren besten Jahren im direkten Kontakt mit der Technik. Die eine stellt sich breitbeinig vor die Maschine und macht gleich von Anfang an klar, dass der Kaffee jetzt für sie fliessen würde. Und nicht für jemand anders auch noch, denn der Zugang zur zweiten Maschine war auch gesperrt. Nicht dass sie das gemerkt hätte, denn Überblick ist Glücksache, wenn man sich im Zentrum des Mittelpunktes weiss. „Da kommt nichts raus!“ – Hängt wohl damit zusammen, dass die Maschine nicht von alleine gemerkt hat, dass die Regierung davor steht. ‘Gnöbbsche drügge, gnä’ Frau’, denke ich. „Drück mal auf die Tube, da vorne“, kommt es vom Grossen Kanton. „Ah!“, sagt sie nur geniesserisch verlegen, schiebt den Beutel ihrer Wahl in den Schlitz und drückt aufs Gnöbbsche – natürlich das falsche: „Geht nicht.“ – ‘Sie könnten wenigstens die zweite Maschine frei geben, gnä’ Frau’, denke ich wieder. „Man kann auch gleichzeitig zwei Kaffees rauslassen, Lady HiTech!“, kommt es von hinten. „Ah!“ und schon schiebt sie einen zweiten Beutel in den Schlitz – ahhh, neinnn! Dieser Zapfhahn ist hinüber. – ‘Ich korrigiere mich, sagen wir Totalhochbegabung.’ „Natürlich bei der anderen Maschine! Denk nach, Miss Bitch!“ „Ah!“ und schon kommen zwei Beutel in den Schlitz der anderen Maschine – „O-ooh…“. – ‘Ich glaub’s nicht! So ein Spatzenhirn!’ Auch diese Maschine: Hinüber. „Ich glaub’s nicht! So ein Furzkopf!…“ Der Alpha-Belly steht mit offenem Mund vor der Szenerie. Der Kaffee ist bis auf weiteres gestrichen. Zeit für einen ausführlichen Rundgang.
Nach einem kopfschüttelnden Blick zum Strand, wo sich schon alle frisch eingeölt auf dem Grill drehten und einem entnüchternden Erkundungsgang durch die Poolbarrezepte war es denn auch bereits wieder Zeit fürs Abendessen: Buffet – einfach viel länger als der ganz normale Wahnsinn es zuliesse. Die alten Bekannten waren schon alle hier. In alter Reihenfolge: Teilhochbegabung, yours truly, Teutonia. Von beiden Seiten lehnten sie sich ohne weiteres Nachdenken über mein Tablett, um an die vielen bunten und prallen Kalorien ranzukommen. Dass dabei die LaCoste-Bluse aus Honkong durch meine süsssaure Sosse aus Shanghai dümpelte und anschliessend auf die Ulla-Popken-Hose saftelte, merkte wohl niemand. – Zugegeben, ich hätte das Tablett nicht anheben müssen. Die Sosse stellte ich zurück. Bei den Teutonen war das Wettrüsten in vollem Gang: Wer bringt am meisten auf seinen Teller. Beim bedienten Fleischtresen zeigte sich, wer Weltenkenner war. „Caramba, lass mal ein paar Paramatschos rüberwachsen, junger Mann!“ Beeindruckt schauen ihn seine Kumpane an: „Was sind Paramatschos?“ „Eine einheimische Spezialität. Wachteln an einer scharfen Sosse. Hat er unter dem Tresen. Kriegt ihr nur auf Verlangen. Und auch dann nur, wenn ihr zeigt, wer die Herrenrasse ist.“ „Hier auch ein paar Paramatschos, junger Mann!“, „Und hier auch!“, ging es sofort los. Untertänigst und behutsam holte der einheimische Kellner eine Fleischrolle hervor und legte sie auf den unbescheidenen Pommes-Turm. Das brachte selbst Miss Bitch mitten ins Staunen. „Was schaust so deppert?“ – „Wie kann jemand soviel mehr stapeln, als er je zu essen vermöchte! Eine Zumutung!“ „Ja, wie soll ich denn hier schon wissen, worauf ich Lust habe, wenn ich an meinem Platz sein werde? Schorschpfropfen, blöder.“ Mit bewundernswerter Körper- und Stapelbeherrschung schaufelte er noch eine Shanghai-Sosse auf sein Tablett. Ich sah schon, es war Zeit, aufs Zimmer zu gehen. Mein Hunger hielt sich in Grenzen und wurde sowieso schon von anderen gestillt.
Vor dem Fresspalast umhüllte mich eine romantische Stille. Tief atmete ich die frische Meeresbrise ein, während ich hinten herum zu meinem Zimmer schlenderte. Ein Koch und ein Kellner standen im Dunkeln hinter der Küche, Zigarette im Gesicht, und pinkelten über ein Ofenblech voller Paramatschos, die in diesem Stadium noch viel Ähnlichkeit mit frisch gejagten Ratten hatten. Die Philosophie der Nachhaltigkeit in Luxus nahm langsam Gestalt an…