Schon vor dem Aufwachen wusste ich es: Dieser Tag ist im Eimer. Den will ich nicht. Den kannst Du zurück haben. Letzter Freitag im Juli, 1400: Sitzung mit Hyäne Hotz. Und seiner Kröte Huper. Wie jedes Jahr. Von Prokurist (honoris causa) Huper minutiös so gewählt, damit alles Lästige zusammen kommt. Längere Ferien mit den Kindern? Vergiss es! Und wenn doch? Selbst bei Hitzewelle jeden Tag Eisregen! Gutes Mittagessen unter Kollegen vor der Sitzung? Auf dem Menü stehen nur rohe Kutteln bzw. Asche für Vegetarier! Vorfreude aufs Wochenende? Träum weiter!
Schon seit dem Schulabgang arbeite ich bei Hotz & Plotz GmbH, Vermögensumlagerungen aller Art. Eine Art Bank. Und wenn mir einer kommt und sagt: ‘Das ist doch unübertreffbar langweilig.’, so widerspreche ich vehement: ‘Gib mir ein Wochenende Zeit, und ich liefere Dir am Montag zwei, drei Gegenbeispiele aus dem Stehgreif.’ Naja, sagen wir, eines würde ich schon noch hinkriegen. Als Prokurist (lapsus causa) kann ich ja nicht zwanzig Jahre in den Sand gesetzt haben.
Heute ist Casual Friday. Hohn pur. Ausserdem: Gilt das auch für Sitzungen mit dem Gruselzoo? Sicher ist sicher, denke ich und stülpe mir die etwas zu engen Marken-Nadelstreifen von Bank & Rott über den bereits leicht zuckenden Körper. Auf dem Weg zu meinem Büro gleitet schon bei allen ein grinsendes ‘O-oh’ über das Gesicht. Einige stehen sogar auf, Blick zu Boden, rechte Hand vor dem Herzen. Soviel zu meinen mitfühlenden Kollegen. Aber keiner würde mich auf den noch halb offenen Hosenstall aufmerksam machen.
Die Sekretärin vor dem Direktionsbüro mustert mich Kaugummi kauend aber sonst ausdruckslos von Kopf bis auf halbe Höhe, dann von halber Höhe bis Fuss und winkt mich wortlos zur Tür hinüber. ‘Vielen Dank’, schlucke ich und lege meine Kaltschweiss gebadete Hand auf die noch kältere Klinke. Ich bin John Wayne, gehe jetzt hinein und ziehe ihnen eins über die Rübe, denke ich und gehe hinein. ‘Guten Tag, Herr Direktor.’, sage ich unsicher und nicke, ‘Herr Huper’ und nicke nochmals, obwohl ich per Du bin mit Huper, diesem Oberschleimer. Der holt sogar noch Anlauf, um in Hotz’ Hintern zu kriechen. Als John Wayne trete ich ihm mit meinen staubigen Stiefeln in die Seite und schaue mitleidig auf ihn nieder, wie er sich schmerzverzerrt im Sand windet. Die beiden thronen selbstgefällig in ihren tiefen Polstersesseln und schauen mich herablassend an. Dass beide in Jeans und Polohemd da sitzen, ist auch nicht gerade hilfreich. Hotz sagt nichts und Huper zwinkert mit dem linken Auge – und zielt mit dem rechten Auge über seinen ausgestreckten Zeigefinger direkt auf mein Familienglück. Reflexartig zucke ich zusammen und halte meine Hände schützend davor – und sehe die halb offene Tragödie. Mit einer Hechtrolle hinter den Felsvorsprung rette ich mich in Deckung und schiesse sofort mit der durchgeladenen Winchester zurück. Ich drehe mich um und ziehe schnell den Reissverschluss hoch – der sich nun vollständig mit dem Hemd verkeilt und sich um keinen Millimeter mehr bewegen will. Noch eine Winchestersalve zu Bösewicht Huper hinüber und noch ein erfolgloser Reissverschlussversuch. Und jetzt hat auch noch die Winchester Ladehemmungen! Leicht gebeugt halte ich mein Notebook vor den Schoss und schaue die beiden an. Huper ist in Weihnachtsgeburtstagsstimmung.
Ich gehe näher heran, um mich in einen Polstersessel zu setzen. ‘Sie können gerne stehen bleiben!’ Ich werfe mich quer zu den Armlehnen in den Sessel, schiebe meinen Hut tiefer ins Gesicht, stelle meine abgelatschten Stiefel auf den Tisch und sage mit rauher Stimme: Riech an meiner Flinte, Du elender Wurm! ‘Oh, Verzeihung’, stammle ich und richte mich ruckartig wieder auf, noch bevor ich den Sessel auch nur berührt hätte.
‘Wir haben uns Ihre Zahlen des vergangenen Jahres angeschaut…’ Auf dem Grossbildschirm hinter mir – wieder so ein erniedrigender Einfall Hupers – erscheint ein Diagramm des Vorvorjahres. Strohhalm! Ungedeckte Huper-Flanke! ‘Aber das sind ja die Daten vom Vorvorjahr! Veraltet!’ japse ich schon fast euphorisch. ‘Da hat er recht.’ sagt Hotz zu Huper. Aber Huper sagt nur nonchalant: ‘Die Daten sind die gleichen wie im vergangenen Jahr. Die Aktualisierungsmühe habe ich mir erspart.’ – ‘Das bedeutet, dass ich im vergangen Jahr den Stand gehalten habe!’ triumphiere ich. – ‘Auch nur, weil wir Ihre Südsparte ausgequellt haben.’, sagt dieser Bandit. – ‘Oh.’ – Das Spiel zwischen den beiden war abgekartet. Und ich ging pholl in die Phalle. Meine Flinte klemmt zwar, aber ich ergreife sie am Lauf und ramme den Stutzen in Hotz’ Magengegend und meinen Ellbogen in Hupers Rücken. Die beiden krümmen sich im Schlamm. Verächtlich schreite ich weg und nehme mein Pferd am Zügel. – ‘Das lassen sie hier!’, befiehlt Hotz. – ‘Was??’ – ‘Das Notebook.’ – ‘Ah’, sage ich verlegen und gehe hinaus. ‘Und bringen Sie noch zwei Kaffees rein!’ Zucker? Milch? Zyankali? – ‘Zucker! Zweimal!’ – ‘Kommt sofort’, hauche ich. – ‘Was denn sonst!?’, sagt er.
Ich habe ja noch meinen durchgeladenen Revolver. Die beiden knüpfe ich mir vor – nächstes Jahr.