iDiot V

“Nomophobie” las ich vor ein paar Tagen zum ersten Mal in der Zeitung: No Mobile Phone Phobia. Angst davor, kein tragbares Fernsprechgerät in Reichweite zu haben. “tragbares Fernsprechgerät”, meine Fresse, “Handy” heisst das Ding. Das weiss doch jeder, der deutsch kann, Mann. Angst davor haben, keines davon in Reichweite zu haben? Als ich meine Augen wieder reingestöpselt hatte, las ich den Text nochmals vorsichtig durch, die offenen Hände sicherheitshalber unter den Augen. Ich hatte mich nicht geirrt. Angst.

Ideal für den Vortrag, den ich heute besuchen würde. Natürlich war es nicht einfach ein Vortrag, sondern ein “Event”. Ein “Social Media and Platforms Event” sogar: “Gurgle and Facepuke – or how to be blown into the Forbes Chart by sucking hundreds of millions of iRobots”. Und da ich schon immer mal meinen Namen in den Forbes Charts sehen wollte, nahm ich 590 CHF (lunch not included, and yes, not even standing apero) in die Hand und ging hin. Ein Schnäppchen.

Die Redner sagten, was ich schon immer wusste: Die Daten auf den Plattformen sind in sicheren Händen. Wenn man austritt, so werden sie gelöscht und erhoben werden sie nur zu meinem Besten.

In der Pause nahm ich meine mitgebrachte (!) Orange hervor und beobachtete die bunte Menge aus Schlipsträgern und Hosenscheisserhosenträgern. Es war eine von meinen Lieblingsorangen: Sie wusste nicht so genau, wo ihre Frucht aufhörte und die Schale anfing. Jedenfalls hatte ich in Kürze die Finger voller Saft. Und wenn wir schon dabei sind, der Boden vor mir auch. Das heisst, alles, was meine Hose nicht auffangen konnte.

“Mit einem Apfel wäre Ihnen das nicht passiert.” Was war das jetzt? Auf der Fensterbank sass einer dieser Wischvirtuosen. Forschend schaute ich, ob er seines Technoscherzes bewusst war oder einfach drauf los laberte. Er schaute auf sein Nomophobieding, und ich wunderte mich kurz darüber, wie so ein Modellkonsument überhaupt ausserhalb seiner 3.5-Zoll-in-der-Diagonale-Welt noch etwas mitkriegen konnte. Wahrscheinlich hatte er gar nicht mich gemeint, sondern irgend so einen GTA2-Wurstzipfel auf seinem iDing.

Ich ging zu ihm hin. Vielleicht liess er mich sogar mal auf seinem Gerät rumwischen. Mit meinen Saftfingern, hmm. “Oh, wow, super, was ist das denn für eine Mutter aller tragbaren Fernsprechgeräte?” Meine Therapeutin hatte mir sowieso schon narzisstische Störungen attestiert. Also kam es auf diese Anbiederung auch nicht mehr drauf an. “Ein iDiot V!”, strahlte er voller Stolz. Muss das neueste sein auf dem Planeten, und ‘V’ steht sicher für ‘voll’. “Und ‘V’ steht für ‘vünf’!”. – “Aah, und was kann das Ding so?” – “Alles! Sagen Sie etwas. Es kann es. Los, sagen Sie etwas.” – “Hmm, wie viele Facebookfreunde hat der Dalai Lama?” – “Die Band kenne ich nicht. Aber schauen wir mal rein… Aaah, hier. Whoa! Gerade mal 1 Freund. Dass der noch lebt! Kein Wunder, kenne ich den nicht. Los! nächste Frage.” Dass dieser eine Freund Gandhi hiess, beeindruckte ihn nicht besonders. Allerdings war es mir auch ein Rätsel, wie Gandhi zu einem Facebook-Konto kam. Soviel zu “Wenn man austritt, so werden sie gelöscht”… – “Findet Dein iDiot auch die nächste Telefonzelle?” Ich war noch nicht mit fragen zu Ende, kam es mit triumphalem Unterton: “’43 m Luftlinie, NW’. Ich weiss zwar nicht, was ‘NW’ heisst, aber das haben wir gleich… aha: ‘Nordrheinwestfalen’. Das muss die Strasse da draussen sein.” – “Ja, genau – und wie komme ich am besten dorthin?” Schon fast mitleidig kommt es: “Hier zeigt es Ihnen den Weg an. Nur immer der roten Linie entlang gehen.” – “Und was nützt mir das alles?” Die Ungeduld ist jetzt voll ausgebrochen: “Ja, sehen Sie das denn immer noch nicht? Jetzt kann ich dort hin gehen und telefonieren!”… Ich war sprachlos, und er genoss es.

Nachdenklich ging ich nach dem Event nach Hause. Es mischt sich auch ein bisschen Angst mit hinein. Bin ich asozial? kommunikationsunfähig? Ich habe nur 2 Freunde – 3, wenn Frauen auch zählen. Zu Hause muss ich mir das mit der Nomophobie nochmals anschauen.